Überblick
zur „Mittelklasse“
sowie zu „Premium-Limousinen“
Bei den detaillierteren Testberichten
außen vor gelassen werden soll die „Mittelklasse“.
Ich verstehe hierunter Autos mit etwa
4,7 bis 5 m Länge, die eine vierköpfige
Familie samt Gepäck gut in den Urlaub bringen können. Hintergrund
ist, dass in dieser Klasse subjektive
Präferenzen und finanzielle Kapazitäten entscheidend sind, die
jeglichen Versuch einer objektiven Empfehlung unmöglich machen.
Übersicht:
1. Klassische Mittelklasse
2. Billigere Alternativen
unterhalb der Mittelklasse
3. Premiummarken
4. Luxusklasse
5. Jeder muss selbst entscheiden
Entsprechend wird zur Mittelklasse sowie den unterhalb und oberhalb
angrenzenden Klassen hier nur ein sehr grober Überblick geboten:
Man kann um grob 30.000
Euro österreichischem Listenpreis zufriedenstellende und solide
Mittelklassewägen beispielsweise aus Japan beziehen (z.B. Mazda 6
2.0i, 145 PS). Damit könnte das Thema „Mittelklasse“ eigentlich
abgeschlossen werden.
Man erhält hiermit regelmäßig sehr geräumige Fahrzeuge mit Frontantrieb
und kann je nach Hersteller zwischen klassischer und mehr oder weniger
verbrauchsoptimierter Technik wählen. In meinen Augen wiegen die möglichen
Treibstoffersparnisse von „downsizing“ den Verlust an
Laufruhe und die Gefahr verringerter Lebenserwartung vielfach nicht auf,
weshalb ich diesbezüglich derzeit eine Vorliebe für einige japanische
Hersteller habe. Auch ein etwas stärkeres und mit allen Extras
ausgestattetes Fahrzeug der Mittelklasse kann kaum einen Listenpreis von
40.000 Euro überschreiten (wobei es damit kaum ein Drittel besser als das
Standardmodell wird). Obwohl es nicht nur in dieser Klasse zahlreiche
Hersteller gibt, sind in meinen Augen optisch attraktive Modelle derzeit
äußert spärlich gesät.
Der dreifache Preis (links) bietet eher
Komfort und Schönheit als zusätzlichen Raum
Benötigt man kein Mittelklassefahrwerk
und findet man sich mit schwächeren Motoren und etwas weniger Platz ab,
kann man auch auf Kombis ausweichen,
die auf Kompaktfahrzeugen der „Golf“-Klasse
aufbauen und um 20.000
Euro erhältlich sind.
Bei Dacia erhält man geräumige,
auf verlängerten Fahrwerken der „Polo“-Klasse
von Renault aufbauende Neufahrzeuge ohne Extras (also auch ohne
Klimaanlage) schon um 10.000 Euro
(z.B. Dacia Lodgy 1.6 l/85 PS – immerhin trägt im Mercedes Citan
ähnliche Technik zum doppelten Preis einen Stern, wobei das nicht mehr
viel mit einem „Mercedes“
nach meinem Verständnis zu tun hat; auch ist beim simplen und bei diesem
Modell gar nicht so kleinen Einstiegsmotor von Dacia ohne jegliche neue
Technik die Gefahr gering, dass das Auto an einem Motorschaden
wirtschaftlich zugrunde geht).
In diesem Abschnitt würde ich nicht von „Mittelklasse“ sprechen und zu besonderer
Zurückhaltung bei Motorisierung und Sonderausstattung raten, um den
Preisvorteil gegenüber echter Mittelklasse zu wahren. Freilich sind
auch Gebrauchtwägen plus Reparaturreserve stets eine reale
Alternative zum Neuwagen (die Zulassungsstatistik belegt, dass Autos
zunehmend als steuerlich attraktive Firmenwägen verkauft bzw.
vermietet/geleast werden, anstatt dass sich Privatpersonen noch
allzu leicht den Erwerb eines hochwertigen Neufahrzeuges leisten
könnten).
Ebenso kann man
leicht 40.000 Euro für ein „Premium-Prestige“ vermittelndes Fahrzeug
beispielsweise von etablierten
deutschen Marken der „gehobenen“ Mittelklasse ausgeben
(der Listenpreis eines Mercedes C 200 ohne Extras kommt dieser
Grenze schon recht nahe). Objektiv gesehen wird ein derartiges Auto
mit Hinterradantrieb nur geringfügig besser fahren als ein normales
Mittelklasseauto mit Frontantrieb um 30.000 Euro (siehe hierzu die
Ausführungen zum Antrieb), aber
tendenziell weniger Platz bieten. Meist
verfügt man in dieser Preisklasse bei den Premiummarken noch nicht
unbedingt über „standesgemäße“ Ausstattung samt
laufruhigem und kraftvollem Triebwerk,
sodass man teils mehr „Schein“ als „Sein“ erwirbt.
Soll bei den Premium-Herstellern alles hinsichtlich
Motorisierung, Ausstattung und Geräumigkeit stimmig
sein, sind mittlerweile 70.000
Euro und mehr leicht ausgegeben (dafür erhält man „noch“
laufruhige und angenehm klingende sechs Zylinder in Reihe, wenn auch
regelmäßig mit sinnlos starken 300 und mehr PS samt Turboaufladung – siehe
z.B. BMW 535i, der mir unter dem aktuellen Angebot auch optisch gefällig
erscheint; in den Jahren 2010/2011 war das idente Fahrzeug ohne Turbolader
als 523i mit bloß 204 PS noch um gut 10.000 Euro billiger zu haben; heute
gibt es in dieser Preisklasse nur mehr 4 Zylinder mit 2 Liter statt 6
Zylinder mit 3 Liter Hubraum, dafür einen Turbolader). In dieser
Preisklasse stellt sich dann weniger die Frage, ob das Auto „gut“
ist, sondern eher, ob es das Geld wert ist und dem jeweiligen Käufer
eine seinem Geld entsprechende Zufriedenheit bietet. Neben Steuern und
Abgaben kommen auch Wartung und Reparaturen regelmäßig teurer als in der
normalen Mittelklasse.
Ergänzung 2018: Der 2017 erschienene Nachfolger des unten gezeigten
5er-BMWs war optisch kein wirklicher Fortschritt, sodass jenseits der
klassischen Wahl zwischen Mercedes und BMW künftig vielleicht mehr
wohlhabende Kunden über den Tellerrand blicken werden und auch englischen
oder italienischen Herstellern klassisch hinterradangetriebener Limousinen
eine Chance geben könnten.
Um den doppelten Preis der normalen
Mittelklasse gibt es erkennbaren Mehrwert
Für die zwar nochmals spürbar
komfortablere, aber nicht unbedingt schönere „Oberklasse“ kann
der zuvor genannte Preis auch nochmals verdoppelt werden.
Optisch kann an der S-Klasse von Mercedes beispielhaft nachvollzogen
werden, wie sich die Anforderungen an das Design verändern. Diese war
über die Jahrzehnte hinweg stets elegant, wenn auch nie besonders
extravagant (siehe beispielsweise hier).
In meinen Augen war der Höhepunkt in den 80er Jahren erreicht (Baureihe
W 126 mit über 800.000 verkauften Autos in über 10 Jahren Bauzeit,
während es sich sonst um die 500.000 Einheiten handelt). In den 90er
Jahren wurde ein technisch feines, aber übergroßes und -schweres Auto
konstruiert (W 140). Kompensiert wurde es um die Jahrtausendwende von
einem schlankeren, aber nicht unbedingt besseren Auto (W 220). Die
Nachfolger W 221 (2005 bis 2013) und die nunmehr aktuelle S-Klasse W 222
(seit 2013) zeigen wiederum, was technisch
möglich ist. Das Design
dürfte sich dabei zunehmend nach den Wünschen der zahlungskräftigen
Kundschaft im chinesischen, russischen und arabischen Raum
richten als am wirtschaftlich tendenziell absteigenden Europäer.
So ist mit einem Mercedes S 500 um 125.000 Euro zzgl.
Sonderausstattungen wohl der Punkt erreicht, wo weitere Steigerungen
auch ohne Rücksicht auf finanzielle Mittel kaum mehr zu signifikanten
Verbesserungen führen (angesichts des ohnehin vorhandenen Preisniveaus
kann ich verstehen, wenn der ausgewogen laufende 8-Zylinder dem etwas
billigeren V6-Motor vorgezogen wird, da letzterer bei dem schweren Auto
eine gewisse Drehzahl benötigt und bei gehobenen Drehzahlen nicht mehr
ganz ausgewogen läuft). Zwar ließe sich auch dieser Preis
nochmals leicht verdoppeln, wenn man ein besonders exklusives Fahrzeug wie
eine demnächst verfügbare, exklusivere Maybach-S-Klasse oder einen
Rolls-Royce wünscht (Mercedes wickelt diese Segmente innerhalb der
Kernmarke ab, während BMW dafür Rolls-Royce und VW Bentley übernommen
hat). Man zahlt dabei aber eher für die Exklusivität des Innenraums oder
das aus der Vergangenheit hergeleitete Prestige.
Imposant mag das Auto ja sein, schlicht
und elegant sieht aber anders aus
Schließlich ist auch zu bedenken, wofür das Auto eingesetzt werden soll.
Auf der Autobahn sind die
Oberklassefahrzeuge vom Langstreckenkomfort her praktisch unschlagbar,
wenn auch ein Kombi mehr Gepäckraum bietet. Auf der Landstraße kann ein
kompakteres und leichteres Premium-Mittelklassefahrzeug (Mercedes
E-Klasse, 5er BMW) oder gerade ein gut motorisierter und spürbar kleinerer
3er BMW deutlich mehr Freude bereiten. In der Stadt wendet sich überhaupt
das Blatt: Hier macht vielfach ein hinreichend motorisierter Kleinwagen
mit Frontantrieb mehr Spaß als eine über 2 Tonnen schwere und über 5 m
lange Luxuslimousine (freilich ist dabei neben dem Preis auch die
Innenraumanmutung eine andere Liga).
Werden nicht mehr als zwei Personen samt überschaubarem Gepäck
transportiert und wird eine etwas härtere Federung im Sinne
unmittelbareren Fahrverhaltens akzeptiert, kann auch ein Sportwagen
eine reale Alternative darstellen. Wenn Geld keine Rolle spielt, sollte
ein großer gran
turismo Ferrari wie der aktuelle F12 Berlinetta aufgrund
seines ausgewogenen Chassis sowohl schnelles als auch komfortables Fahren
ermöglichen und als
„Königsklasse“ kaum Wünsche offen
lassen (noch gibt es auch den Maserati mit treffendem Namen
GranTurismo als „poor
man's Ferrari“
mit 8 statt 12 Zylindern zum etwa halben Preis des Ferraris, bei
dessen Konstruktion die Ingenieure von Ferrari mitgewirkt
haben und damit ein ganz anderes Erlebnis als die deutsche Konkurrenz in
dieser Preisklasse erreicht haben). Es gibt aber auch um ein Zehntel des
Preises des Ferraris gute und kompaktere Alternativen wie Mazda MX 5
oder Toyota GT 86/Subaru BRZ (siehe hier).
Zwischen den genannten Preisklassen kann
aus meiner Sicht kaum objektiver Rat gegeben werden, da einer einen großen
Innenraum schätzt, ein anderer das Fahrverhalten und die Leistung, während
ein anderer dem Ruf einer ihm vertrauten Marke folgt. Bei einem anderen schränkt sich hingegen
die Auswahl schon über die finanziellen Mittel ein. Da die Optik
momentan eine untergeordnete Rolle im Automobilbau spielen dürfte,
erscheinen mir persönlich aktuell nur der Mazda 6 und der 5er BMW von
einigermaßen zeitlosen und stimmigen Linien geprägt zu sein.
In meinen Augen werden einander in der Premiumklasse (Punkt 3.)
sogar BMW und Mercedes immer ähnlicher, nachdem BMW nicht mehr übertrieben
„sportlich“ sein will und Mercedes auch „junge“ Kunden ansprechen möchte
(an sich bietet ein härteres Fahrwerk mehr Stabilität in Kurven, während
ein weicheres mehr Komfort bietet). Auch Jaguar und ab 2016 vielleicht ein
Alfa Romeo Giulia mit einer von Maserati abgeleiteten
Hinterradantriebsplattform können mit angenehmem Fahrverhalten punkten;
vielleicht kommen auch von japanischen Premiummarken (Lexus, Infinity)
irgendwann schöner gezeichnete oder attraktiver bepreiste Alternativen.
Auf Frontantrieb und Allradantrieb ausgelegte Premiumfahrzeuge tendieren
hingegen dazu, weder so sportlich wie ein BMW, noch so komfortabel wie ein
Mercedes zu fahren (eher genau im
Gegenteil: trotz Fahrwerkshärte jenseits typischer BMW – wohl
um trotz schlechter Gewichtsverteilung (siehe Antrieb)
gute Kurvenstabilität zu erreichen – weniger Agilität
als in einem Mercedes mit Hinterradantrieb, dafür aber Traktionsvorteile
bei rutschigem Untergrund). Insoweit verwundert es nicht, wenn selbst in
der Luxusklasse, wo jedes technische Hilfsmittel preislich möglich ist,
ein insoweit „preiswerter“
S-Klasse-Mercedes oder „standesgemäßer“ Rolls-Royce
einem auf Audi/VW-Plattformen basierendem Bentley vom Komfort und der
Fahrdynamik her überlegen bleiben.
Ans Ziel gelangt man samt
Passagieren und Gepäck bereits mit den unter Punkt
2. genannten Fahrzeugen.
Die klassische Mittelklasse nach Punkt
1. sollte kaum objektive
Wünsche offen
lassen. Man wird sich dabei jedoch mit Frontantrieb zufrieden geben
müssen, während der in der Premiumklasse verfügbare Hinterradantrieb
gewisse fahrdynamische Vorteile hat (siehe hier).
Hat man ein subjektives Bedürfnis
nach der
Laufruhe, dem Klang oder der Leistung von 6, 8 oder 12 Zylindern, nach
Edelholzzierleisten im Innenraum oder der Auswahl unter zahlreichen
Ledertönen und -qualitäten für den Sitz- oder auch
Armaturenbrettbezug, so wird man bei der weit besser „individualisierbaren“ oberen Mittelklasse nach Punkt
3. oder gar in der bei Punkt 4. beschriebenen Oberklasse landen.
Die hierzulande kaum vertretenen US-Fahrzeuge mit oft simpler Technik und
größeren Motoren (3.6 l-Sechszylinder sind dort häufig der
„Standardmotor“) könnten auch noch mit einbezogen werden und dürften in
der Innenraumanmutung langsam aufholen. So kostet ein auf dem Chrysler 300
und damit teils auf alter bzw. vereinfachter Mercedes-Fahrwerkstechnik
aufbauender Dodge Charger mit knapp 300 PS in den USA vor Steuern knapp
30.000 Dollar. Über einen hiesigen Importeur dürfte das auf grob 45.000
Euro inkl. Steuern kommen (um 6.000 weitere Dollar sind Vollausstattung
und 8 Zylinder mit 5.7 l Hubraum und 370 PS erhältlich und um eine
Verdoppelung des Grundpreises kann man auch wahnwitzige 707 PS erhalten).
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Philipp Lust,
2014
www.lust.wien