lust

Probleme von Welt und Gesellschaft



Da viele Leute Probleme lieber vermeiden als sich ihnen zu widmen, bin ich für jeden "Klick" hierher dankbar. Wenn auch die Website www.lust.wien vor allem wegen der Missstände der Telekommunikationsregulierung in die Welt gerufen wurde, so gibt es freilich weit gröbere und essentiellere Probleme. Diese werde ich sicher nicht lösen können, möchte aber immerhin ein paar in kurzsichtigen Äußerungen von Politik und Medien nicht immer berücksichtigte Gedanken ergänzen. Die anderen Gedanken findet man ohnehin zur Genüge.

Übersicht:   
                1.) Frieden
                2.) Umwelt
                        Umweltbeeinträchtigung ist unübersehbar
                        Umwelt als Feigenblatt für Industriepolitik?
                        Auch die Energiewende ist nicht so einfach
                        Konsumverzicht und Wirtschaftskrise
                3.) Wirtschaftspolitik
                        Politik und Wirtschaft
                        Internationaler Steuerwettbewerb
                        Regelungswahn
                        Geldpolitik
                        Festung Europa
                4.) Bloße ad-hoc-Feuerwehr statt struktureller Problemlösung


1.) Frieden

Nicht durchdachte und nicht auf die historischen Probleme der Region eingehende hegemonistische Interventionen westlicher Mächte in anderen Gebieten der Erde gehen mit Instabilität und langfristigen Nebenwirkungen einher. Gerade besonders feige und ohne Bedacht auf als "Kollaterialschäden" eingeordnete Tötungen über ferngesteuerte Drohnen legen den Grundstein für die Unsicherheit, die nun in der westlichen Welt mit "Terrorismus" umschrieben wird. Auch der Versuch, sich davor zu schützen, wird tendenziell lieber über Ausweitung des Staates und Einschränkung von Freiheit angegangen als über Beseitigung der zugrundeliegenden Ursachen (nordische Staaten scheinen hier tendenziell ganzheitlichere Zugänge zu haben).

http://www.rt.com/uk/186288-rally-palestine-solidarity-campaign/
Krieg zieht immer "Kollateralschäden" nach sich
hier im Gazastreifen 2014

Gleichzeitig zeigen die Vorgänge in der direkt an das Gebiet der Europäischen Union angrenzenden Ukraine seit 2014 erneut, wie lokal eingeschränkt das vermeintliche "Friedensprojekt Europa" ist. Im Zweifel geht in "Kerneuropa" dann doch oft das kurzfristige wirtschaftliche Eigenwohl den gerne verkündeten allgemeinen humanistischen Idealen vor. Hinzu kommt, dass die Glaubwürdigkeit realer Verteidigungsbereitschaft unabhängig von der entsprechenden Fähigkeit leidet.

Ein paar Meinungen zu den Vorgängen weiter östlich:
http://www.nzz.ch/international/kommentare/putin-stalin-und-der-glanz-der-tabakdose-1.18496725
http://www.nzz.ch/international/wir-wussten-es-geht-in-die-ukraine-1.18494340
http://www.nzz.ch/meinung/debatte/europas-drohende-weltkrise-1.18484498

2.) Umwelt

Umweltbeeinträchtigung ist unübersehbar

http://www.nzz.ch/im-schatten-der-hochoefen-1.18243773
Freier Himmel ist in Chinas Industriegebieten nicht selbstverständlich

Langsam ist kaum mehr zu leugnen, dass das aktuell mehrheitlich angestrebte Lebensmodell mehr Ressourcen in Anspruch nimmt, als langfristig auf der Erde zu Verfügung stehen. Ein Einfluss auf das Klima ist kaum mehr vernünftig auszuschließen und gewisse Wetterkapriolen sind klar darauf rückführbar. Dennoch werden die schon in den 70er Jahren angesprochenen "Grenzen des Wachstums" kaum wahrgenommen. Während mittlerweile schon der CO2-Bedarf eines Rindes berechnet wird, will kaum jemand bei sich selbst anfangen und sind auch Einschränkungen des Verkehrs in der Luft, am Boden oder am Wasser äußerst unpopulär. Allgemein wird noch eher in "green technology" ein "wachstumsfreundlicher" Ausweg angestrebt.

Umwelt als Feigenblatt für Industriepolitik?

Dazu und zur Logik des Punktes 3. passt es, dass erklärtes Ziel und realer Effekt häufig auseinanderfallen. Sehr gut kann das anhand der vor einigen Jahren in Europa populären Auto-Verschrottungsprämie  nachvollzogen werden, wo das Umweltthema nur als Feigenblatt für kurzsichtige Industrieförderung zur Vermeidung struktureller Anpassungen nach der Weltwirschaftskrise herhalten musste (die Produktion eines neuen Autos samt Entsorgung eines funktionsfähigen Gebrauchtswagens, der noch dazu über arbeitszeitintensive Reparaturen heimische Arbeitsplätze gesichert hätte, kann kaum je durch marginal günstigere Verbrauchswerte in der Praxis wettgemacht werden).

förderung
Nur selten steht man so offen zu mangelnder sozialer Treffsicherheit öffentlicher Mittel


Auch der Sinn des für mich völlig unverhältnismäßigen europarechtlichen Verbots, günstige und angenehmes Licht erzeugende Glühbirnen zu vertreiben, bleibt mir auf ökologischer Schiene verschlossen: In Firmen- und Verwaltungsgebäuden wird weiterhin oft auch abends und am Wochenende kaum auf die Anzahl notwendiger Beleuchtungskörper geachtet (freilich, es mögen schwer entsorgbare, aber dafür im Betrieb sparsamere Energiesparlampen sein; sollte man aber zu gewissen Zeiten bzw. an gewissen Orten nicht auch Verzicht in Erwägung ziehen und "Licht sparen"?). Auch die Tatsache, dass weiterhin urbane Geländewägen mit 300 bis 600 PS verkauft werden dürfen, die im Gelände kaum etwas bringen, gleichzeitig aber eine völlig ineffiziente Fortbewegung auf der Straße sicherstellen (der reale Verbrauch derartiger „SUVs“ in dem von ihnen bevorzugten Stadtgebiet dürfte mindestens das Doppelte, vielfach auch das Vierfache eines angemessenen Fahrzeuges mit fünf Sitzplätzen ausmachen), spricht dafür, dass der tatsächliche Schutz der Umwelt nicht vorrangiges Ziel sogenannter Umweltinitiativen ist.

Auch die Energiewende ist nicht so einfach

http://www.landschaftsschutz-allgaeu.de/html/body_windkraft_im_allgau.html
Windräder als Zeichen des Fortschritts oder Zerstörung der Landschaft?

Leider passieren auch beim Umstieg auf alternative Energiequellen ähnliche – industriepolitische – Fehler. Das lässt sich in Deutschland besonders gut erkennen. Auch wird gerne darauf vergessen, dass die meisten „modernen“ Menschen auch bei Windstille und bedecktem Himmel ungerne auf Strom verzichten. Entsprechend liegt gerade in Österreich die konstant laufende Wasserkraft an größeren Flüssen nahe. Alternative Konzepte führen nicht nur zu erhöhten Anforderungen an das Strtomnetz. Vielmehr sind auch tendenziell weniger umweltfreundliche „Stand-by“-Kraftwerke logische Begleiterscheinung ökologischer Vorzeigeprojekte, damit im Fall des Falles kurzfristig nicht vorhandener Wind- und Solarenergie eine Kompensation im Sinne einer ununterbrochenen Stromversorgung möglich ist.

Konsumverzicht und Wirtschaftskrise

http://www.nzz.ch/international/messung-und-vergleichbarkeit-der-verschmutzung-1.18511679
Konsum führt regelmäßig irgendwo und irgendwann zu Abfall

Immerhin scheint es, als hätte neben dem regelmäßig unangesprochenen Konsumverzicht auch die aktuelle wirtschaftliche Rezession reale positive Nebenwirkungen auf die Umweltbelastung und den Ressourcenverbrauch der Erde (wie überall, wird es zur letzten Aussage je nach Auftraggeber Studien in die eine und die andere Richtung geben).

3.) Wirtschaftspolitik

Politik und Wirtschaft

In meinen Augen widersprechen einander die Begriffe Wirtschaft und Politik vielfach, da erstere über den natürlichen Schnittpunkt aus Angebot und Nachfrage funktioniert, während letztere tendenziell auch andere Aspekte einfließen lässt. Dazu zählt die Notwendigkeit, hoheitliche Abgaben für staatliche Aufgaben abzuzweigen oder gerade im Umweltbereich in Richtung allgemeinverträglicher Ressourcennutzung zu "steuern".

Der Kapitän der Länder der Sowjets steuert uns von Sieg zu Sieg
Zentrale Steuerung durch die Politik führt nur selten zu optimalen Ergebnissen


Nachdem Politik auf nationaler, supranationaler wie auch internationaler Ebene vielfach auch Partikularinteressen vertritt und eine internationale Abstimmung besonders schwierig ist, scheitert "Wirtschaftspolitik" bei nüchtern empirischer Betrachtung regelmäßig (bzw. sind bei objektiver Messung im Nachhinein die Kosten der öffentlichen Hand vielfach höher als der erreichte Nutzen für die Allgemeinheit, wobei das nicht ausschließt, dass einzelne Begünstigte überproportional profitieren). Spieltheoretische Überlegungen machen die internationale Umweltpolitik zu einer noch größeren Herausforderung.

Internationaler Steuerwettbewerb

Nationale Steuersysteme schaffen trotz regelmäßig als "Reform" titulierter Änderungen keine Einbeziehung internationaler Konzerne, die weltweit und unter Ausnutzung lokaler Lohnunterschiede akkumulierte Erträge regelmäßig praktisch steuerfrei an bestimmte Orte verschieben können. Auch wenn diese langjährige Praxis langsam öffentliche Aufmerksamkeit erlangt, harren wir noch einer Lösung, die nicht zur Diskriminierung des kleineren und mittleren Anbieters führt (auch die personnelle Besetzung der Europäischen Kommission mag hier nicht gerade zur unmittelbaren Problemlösung beitragen).

http://www.vice.com/de/read/die-10-groessten-steueroasen-zypern-monaco-steuerflucht
Je größer das Vermögen, desto größer die Möglichkeiten zur Steueroptimierung

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Förderung internationaler Konzerne sowohl dem Wettbewerb im Sinne eines fairen Marktes als auch der lokalen Entwicklung zuwiderläuft und damit auch zu sozialen Ungleichgewichten führt. Hinzu kommt, dass die Produkte vielfach weniger langlebig werden und produktionsbedingte Preisvorteile kaum auf den Endverbraucherpreis durchschlagen. Auch die Tätigkeiten von Wettbewerbs- und Fusionskontrollbehörden wären vor diesem Hintergrund transparenter zu gestalten.

Dass die Medien vielfach ohne fundiertes ökonomisches Verständnis und viel intensiver als noch vor einigen Jahrzehnten von "der Wirtschaft" in personenähnlicher Form berichten, trägt auch zur Übergewichtung der Wirtschaft gegenüber sozialem Gemeinleben bei
(was bringen tägliche Börsenkursberichte in Radiokurznachrichten?).

Regelungswahn

Wie sehr sich die Vision staatlicher Regeln zum Vorteil der Allgemeinheit in der Realität zur Privilegiensicherung einer kleinen Zahl großer Marktteilnehmer pervertieren kann, kann auf dieser Seite beispielhaft anhand der europarechtlich gebotenen, "liberalisierten" Telekommunikation in Österreich nachgelesen werden.

Freilich geht es in anderen Bereichen unabhängig von der Intensität der staatlichen Aufsicht nicht unbedingt anders zu. Interessant wird insbesondere sein, was man künftig über den Bankensektor erfahren wird, wo man Steuergeld in einem Ausmaß, das vor wenigen Jahren kaum für möglich gehalten worden wäre, großzügig vernichtet hat und wohl auch noch weiter vernichten wird. Selbst wenn der direkte Steuergeldhahn bei der Hypo Alpe Adria/HETA Asset Resolution AG nun schlussendlich doch abgedreht wurde, werden die weiteren Entwicklungen interessant zu verfolgen sein [Anm.: wie erwartet, stellte sich die Ankündigung als etwas zu optimistisch dar]. Es scheint, als würde sich angesichts guter "Vernetzung" der Banken und langwierigen Prozessen zur Adaption umfangreicher - und zumindest in der Vergangenheit offensichtlich versagender - Regelwerke (samt Hilfe gemäß nächstem Punkt) die interne Reorganisation der jeweiligen Institute noch in überschaubaren Grenzen halten.

Manchmal stellt sich auch die Frage, ob die Welt wirklich so komplex geworden ist, dass alles nur kompliziert gelöst werden kann. Teilweise erscheint es fast, als wolle man mit überbordenden Regelungen die zentralen Intentionen verschleiern und menschlichen Hausverstand ausschalten. Gleichzeitig schafft man eine Geheimwissenschaft für "Insider", die Kritik von "außen" leichter über den Vorwurf vermeintlicher Unwissenheit oder Formalitäten abzuschmettern vermögen.

Zur Hypo Alpe Adria und dem Bankensektor siehe auch:
http://www.nzz.ch/wirtschaft/riskante-notbremsung-wiens-1.18493838
http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/raub-am-steuerzahler-1.18493888
http://www.nzz.ch/wirtschaft/von-kulturterroristen-und-persoenlicher-verantwortung-1.18492255
http://www.nzz.ch/international/deutschland-und-oesterreich/oesterreichs-systemversagen-wird-untersucht-1.18491472
http://www.nzz.ch/wirtschaft/pruefbericht-geht-mit-wien-hart-ins-gericht-1.18437024
Berichte der Hypo-Untersuchungskommission unter Dr. Irmgard Griss
http://www.nzz.ch/wirtschaft/wirtschafts-und-finanzportal/oesterreichs-filz-als-humus-fuer-die-hypo-pleite-1.18243800
http://www.salzburg.com/nachrichten/oesterreich/wirtschaft/sn/artikel/staudingers-steuerstreik-und-die-schuld-am-hypo-fiasko-99456/

Ergänzung des im Jänner verfassten Textes vom September 2015:

Dass neben den umfangreichen Bankenhilfen die staatliche Einlagensicherung für die Sparer hingegen abgeschafft wurde, ohne dass es einen medialen Aufschrei oder umfangreiche Bürgerinformationen gab, zeigt, dass in Österreich weiterhin sozialpartnerschaftliche Harmonie herrscht und dass die umfangreiche Presseförderung auch die Behandlung heikler Themen steuern kann (selbst der Verein für Konsumenteninformation beschwichtigt).
Inwieweit 0,8 % der Einlagensumme gemäß EU-Vorgaben (Richtlinie 2014/49/EU) jemals ausreichen, um Sparer bei größeren Bankenpleiten zu schützen, bleibt ebenso dahingstellt, wie es in der Übergangszeit bis 2024 aussieht, in der nicht einmal die 0,8 % durch die Banken in die Fonds einbezahlt sind. Es bleibt abzuwarten, wann hierzulande eine Bank nicht als "too big to fail" im Sinne einer impliziten Staatsgarantie qualifiziert wird und ob der Staat kühn genug ist, weder einen Bankenzusammenbruch zu verhindern (womit eine Restrukturierung des Bankensektors im Sinne von Eigenverantwortung anstatt von "Gewinne privatisieren - Verluste sozialisieren" gefördert werden würde), noch in diesem Fall den Sparern unter die Arme zu greifen (dann wäre der schwarze Peter wiederum beim "kleinen Mann", dem einerseits kaum eine Alternative offensteht und dem andererseits das Risiko seiner Einlagen bei der Bank mitunter nicht bewusst war).

Geldpolitik

Dass auch die "Politik" des Geldes nur eingeschränkt am Allgemeinwohl orientiert ist und möglicherweise durch eingeschränkten Blick, mäßige ökonomische Rechenmodelle oder Partikularinteressen geprägt ist, lässt sich bei den Handlungen der Europäischen Zentralbank seit der Banken-, Schulden- und Wirtschaftskrise kaum leugnen.

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/blockupy-proteste-gegen-die-ezb-a-1023471.html
Ist man allzu abgehoben, muss man sich vor dem Volk schützen (EZB, Frankfurt 2015)

Ein paar Meinungen hierzu:
http://www.nzz.ch/wirtschaft/kommentare/die-ezb-als-teil-des-problems-1.18466772
http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/der-euro-auf-abwegen-1.18463065
http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/geldpolitik/ex-ezb-chefvolkswirt-juergen-stark-debatte-um-deflationsgefahren-voellig-ueberzogen/11256954.html
http://www.spiegel.de/wirtschaft/ruecktritt-von-juergen-stark-ezb-verliert-ihren-chefvolkswirt-a-785382.html
http://images.derstandard.at/2015/01/22/Illu_1.jpg

Festung Europa

Spätestens die Maßnahmen der „Troika“ aus europäischer Kommission, europäischer Zentralbank und internationalem Währungsfonds in Griechenland weisen darauf hin, dass Europa weniger den sozialen Schutz verarmender Bürger als die Wahrung internationaler Anlegerinteressen im Auge zu haben scheint.

Dass die „Festung Europa“ gegenüber „außen“ „ganz gut“ abgeschlossen ist und humanitäre Ideale gegenüber „außen“ noch weniger relevant sind, zeigt sich an der Ausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik als historisch zentralem Pfeiler der europäischen Gemeinschaften. Auch Entwicklungshilfemaßnahmen erreichen augenscheinlich nicht das in letzter Zeit zumindest häufiger verkündete Ziel der „Hilfe zur Selbsthilfe“ weniger entwickelter Staaten. Insoweit sind selbst die menschlichen Dramen am Mittelmeer nicht völlig überraschend gekommen.

kos juli 2015
Der Sonnenuntergang auf Kos bietet für Asylsuchende nur wenig Trost

Ergänzung des im Jänner verfassten Textes vom August 2015:

Nachdem Ende August 2015 nicht nur erneut hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sind, sondern auch in Österreich 71 auf der Flucht qualvoll gestorbene Flüchtlinge entdeckt wurden [darunter angeblich nur vier Kinder], hat Österreich nach dem Chaos in Traiskirchen erneut internationale Schlagzeilen mit dem Thema Flüchtlinge gemacht.

Wie gewohnt suggerierten die Politiker Mitgefühl, obwohl sie mit den flüchtlingsfeindlichen und in Widerspruch zu Menschenrechten stehenden Regelungen klar für die vielen Toten wie auch die hochprofitable Schlepperbranche verantwortlich sind und mit jedem nicht (lebend) nach Europa gelangenden Flüchling ihrem Ziel näher zu kommen scheinen. Die weiterhin primär verkündeten Lösungsansätze "Grenzen dicht" (einschließlich strengerer Strafen für Schlepper) und "Warten auf eine gemeinsame europäische Lösung" belegen, dass das verkündete Mitleid nicht vom Herzen kommt.

Ob und wann einzelne Bekenntnisse (auch der Innenministerin Mikl-Leitner) zur Notwendigkeit legaler Wege nach Europa umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Moderator Claus Kleber hat im zdf heute journal vom 27. 8. 2015 die Situation wie folgt zusammengefasst: "Es geschieht nicht oft, dass Staatslenkern, die in der Pracht der Wiener Hofburg über Themen beraten, die draußen Leben oder Tod bedeuten, bittere Realität so nahe kommt wie heute. [...] Sie [die erstickten Flüchtlinge] waren Wien ganz nahe gekommen, die Minister einer Antwort nicht." Immerhin hat Deutschland die Anwendung der "Dublin-Verordnung" für syrische Flüchtlinge bereits kurz zuvor außer Kraft gesetzt.

Dass die Kronenzeitung das Leid der Flüchtlinge am 28. 8. 2015 der Bevölkerung über ein Bild der geöffneten LKW-Ladefläche zugemutet hat, soll nun sowohl vom Presserat als auch disziplinär innerhalb der Polizei, von deren Mitarbeiter das Bild stammen dürfte, geahndet werden. Offenbar soll dem Bürger die grausame Wahrheit politischen Versagens nicht zugemutet werden. [Am 28. 10. 2015 hat der Presserat tatsächlich die "postmortalen Persönlichkeitsinteressen" der Verstorbenen höher als das Aufrütteln der Allgemeinheit gewertet.]

Ergänzung 20. 9. 2015: Nachdem das Schicksal der Flüchtlinge am Mittelmeer jahrelang ignoriert wurde und mancher Politiker ernsthaft behauptet, das Problem wäre erst im August 2015 überraschend aufgetreten, scheinen Bilder doch mehr als tausend Worte zu sagen: so z.B. das Anfang September an die türkische Küste zurückgespülte syrische Kind; eine ungarische Reporterin, die einem Flüchtling mit Kind das "Haxl" stellt; Ausschreitungen an der EU-Außengrenze...


Ergänzung 15. 2. 2016: Die Entwicklungen in der europäischen Flüchtlingspolitik im Jahr 2016 sollten keiner gesonderten Erörterung zur Entscheidungsfreudigkeit und Prinzipientreue in der Politik bedürfen. Spannend wird vielmehr, wie erfolgreich man die Verantwortung für Nichtstun und Grenzenschließen durch Worte oder Zahlungen an ärmere Länder delegieren kann. Auch das kürzlich "überraschend" aufgetauchte Thema, dass neben dem nachhaltig profitabel gehaltenen Schlepperwesen, das weder mit Frauen noch mit Männern sonderlich zimperlich umgeht, auch nicht unbeträchtliche Zahlen an Kindern auf der Flucht "verschwinden", wird ein allfällig vorhandenes Gewissen bei Politikern nicht sonderlich belasten können.

Ergänzung 19. 3. 2016: Die rasche Einigung mit der Türkei am Brüsseler Gipfel vom 18. 3. 2016 zeigt, dass die "europäische Wertegemeinschaft" nicht nur im asiatischen Raum und an den östlichen Grenzen, sondern generell geübt ist, bei "heiklen" Themen wie Menschenrechten wegzuschauen, wenn es dem kurzfristigen eigenen Vorteil dienlich sein kann. Die problemlose Abwicklung der getroffenen Vereinbarungen wird sich jedoch noch beweisen müssen.

4.) Bloße ad-hoc-Feuerwehr statt struktureller Problemlösung

Phänomene sind leichter zu bekämpfen als strukturelle Probleme zu lösen. Nachhaltige Strukturreformen scheinen in europäischen Führungsgremien weniger beliebt zu sein als kurzfristige, eher an aktuellen Phänomenen und ohne Berührung der zugrundeliegenden Probleme angegangene "Feuerwehrmaßnahmen". Inwieweit wir so die für das Jahr 2020 angestrebten europäischen Ziele wie ein hohes Maß an Beschäftigung, Produktivität und sozialem Zusammenhalt tatsächlich erreichen werden, bleibt abzuwarten.




Philipp Lust, 2016                         www.lust.wien